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Die Notlage der 66 Millionen vertriebenen Menschen in der Welt scheint das Gewissen der Europäischen Union nur dann zu beunruhigen, wenn die Aufmerksamkeit der Medien auf Tragödien an den Grenzen Europas gerichtet ist. Nur ein europäisches Land - Deutschland – findet sich unter den Top-Ten-Nationen, die Flüchtlinge aus den ärmsten Ländern der Welt aufnehmen. Das Flüchtlingselend wird nur dann sichtbar, wenn Orte an den Außengrenzen der Union - wie Calais, Lampedusa, Lesbos - in den Nachrichten auftauchen, wenn verzweifelte Menschen, die vor Gewalt flüchten, getötet oder inhaftiert werden.
Diese Tragödien sind nicht nur unglückliche Folgen von Kriegen oder Konflikten außerhalb der EU, sie sind auch das direkte Ergebnis der europäischen Migrationspolitik seit dem Schengener Abkommen von 1985. Dieses Konzept konzentrierte sich auf die Stärkung der Grenzen, die in der Entwicklung einer differenzierteren Überwachung und Verfolgung von Menschen bestand, und aus immer zahlreicheren Abschiebungen, während immer weniger legale Aufenthaltsmöglichkeiten bei stetig wachsendem Bedarf angeboten wurden. Dies hat dazu geführt, dass viele gewaltsam vertriebene Personen nicht legal nach Europa einreisen konnten und gezwungen wurden, auf immer gefährlicheren Wegen vor Gewalt und Konflikten zu fliehen.
Was weniger bekannt ist, ist, dass die gleiche europäische Tragödie weit über unsere Grenzen hinweg in so entfernten Ländern wie Senegal und Aserbaidschan spielt. Dies ist auf eine weitere Säule des europäischen Migrationskonzepts zurückzuführen, die sogenannte Externalisierung der Grenzen. Seit 1992 und noch aggressiver seit 2005 hat die EU eine Politik entwickelt, die darin besteht, die Grenzen Europas zu externalisieren, damit gewaltsam Vertriebene überhaupt nicht erst an die Grenzen Europas gelangen. Dies beinhaltet Vereinbarungen mit den Nachbarländern Europas, um deportierte Personen aufzunehmen und Grenzkontrollen mit verbesserter Überwachung wie an den befestigten Grenzen Europas zu übernehmen. Anders ausgedrückt haben diese Abkommen die europäischen Nachbarn zu Europas neuen Grenzschutzbeamten gemacht. Und weil sie so weit von Europas Küsten und Medien entfernt sind, bleiben die Auswirkungen für EU-Bürger fast völlig unsichtbar.
In diesem Bericht soll die Politik der Abkommen beleuchtet werden, die in der Externalisierung der europäischen Grenzen besteht, so wie die beteiligten gewinnorientierten Unternehmen und Organisationen. Schließlich geht es um die Folgen für die zwangsvertriebenen Menschen und die Länder und Bevölkerungen, aus denen sie stammen. Es ist die dritte Studie einer Reihe mit dem Titel “Border Wars”, die die Grenzpolitik in Europa untersucht und zeigt, wie die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie die europäische Sicherheitspolitik mitgestaltet und dann immer mehr Grenzsicherheitsmaßnahmen und -verträge erhalten hat.
Dieser Bericht zeigt ein signifikantes Wachstum der Externalisierungsmaßnahmen und -abkommen seit 2005 und eine massive Beschleunigung seit dem Europe-Africa-Gipfel im November 2015 in Valetta. Mit einer Vielzahl neuer Instrumente, insbesondere dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika (EUTF), dem Migrationspartnerschaftsrahmen und der Flüchtlingsfazilität für die Türkei, bieten die Europäische Union und die einzelnen Mitgliedstaaten jetzt Millionen von Euro für eine Reihe von Projekten, mit denen die Abwanderung bestimmter Personen nach Europa gestoppt werden soll.
Dazu gehören die Zusammenarbeit mit Drittstaaten in Bezug auf die Abschiebung bestimmter Personen, die Ausbildung der Polizei- und Grenzbeamten dieser Staaten, die Entwicklung umfassender biometrischer Systeme und das Spenden von Ausrüstung, z.B. von Hubschraubern, Patrouillenschiffen und Fahrzeugen sowie von Überwachungs- und Überwachungsausrüstung. Während viele Projekte über die Europäische Kommission abgewickelt werden, sind einzelne Mitgliedstaaten wie Spanien, Italien und Deutschland auch federführend bei der Finanzierung und Unterstützung von Grenz-Externalisierungsbemühungen durch bilaterale Abkommen mit Nicht-EU-Ländern.
Besonders problematisch für diese Zusammenarbeit ist, dass viele der Regierungen, die die Unterstützung erhalten, zutiefst autoritär sind und die Unterstützung, die sie erhalten, oft genau an die Organe der Staatssicherheit geht, die am stärksten für die Unterdrückung und den Missbrauch von Menschenrechten verantwortlich sind. Die Europäische Union hat in allen ihren Politikbereichen eine klare Definition von der Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber der Bereitschaft der EU, diktatorische Regimes zu akzeptieren, sind keine Grenzen gesetzt, solange sie sich verpflichten, “irreguläre Migration” zu verhindern, welche die europäischen Küsten erreicht. In der Folge wurden EU-Abkommen mit Regimes wie Tschad, Niger, Belarus, Libyen und Sudan geschlossen.
Diese Politik hat daher weitreichende Folgen für gewaltsam Vertriebene, deren “illegaler” Status sie bereits angreifbar macht und Menschenrechtsverletzungen begünstigt. Viele landen entweder in ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, in Haft und/oder werden in die Länder zurückgeschickt, aus denen sie geflohen sind. Insbesondere weibliche Flüchtlinge sind mit einem hohen Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt, sexuellen Übergriffen und Ausbeutung konfrontiert.
Gewalt und Repression gegen gewaltsam Vertriebene drängen auch in den Untergrund, begünstigen das Schmuggelgeschäft und verstärken die Macht krimineller Schmugglernetze. Viele Menschen sehen sich daher gezwungen, nach anderen, oft gefährlicheren Wegen Ausschau zu halten und sich auf immer skrupellosere Schlepper zu verlassen. Dies führt zu einer noch höheren Todesrate.
Darüber hinaus bedroht die Stärkung der Staatssicherheitsorgane in den MENA-, Maghreb-, Sahel- und Horn- von-Afrika-Regionen auch die Menschenrechte und die demokratische Legitimation der Region, zumal die Sicherheitsmaßnahmen dringend benötigte Ressourcen von den Wirtschafts- und Sozialausgaben abzweigen. In der Tat zeigt dieser Bericht, dass Europas Besessenheit, Migration zu verhindern, nicht nur Ressourcen ablenkt, sondern auch Europas Handel, Entwicklungshilfe und internationale Beziehungen mit der gesamten Region verzerrt. Viele Experten haben darauf hingewiesen, dass dies die Grundlage für weitere Instabilität und Unsicherheit in der Region ist und die Wahrscheinlichkeit größerer Flüchtlingsbewegungen in Zukunft erhöht.
Es gibt jedoch eine Gruppe, die besonders stark von den Externalisierungsprogrammen der EU profitiert hat. Wie die früheren Border-Wars-Berichte zeigten, hat die europäische Militär- und Sicherheitsindustrie den größten Nutzen daraus gezogen, dass sie einen Großteil der Ausrüstung und Dienstleistungen für die Grenzsicherheit geliefert hat. Die Unternehmen werden von einer Reihe zwischenstaatlicher und (halb-) öffentlicher Institutionen begleitet, die in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben, da sie Dutzende von Projekten zur Grenzsicherheit und -kontrolle in Nicht-EU-Ländern durchführen.
In der Türkei hat sich die EU auf ein australisches Modell zubewegt. Es sieht die Auslagerung des gesamten Komplexes zwangsvertriebener Personen nach außerhalb der Union vor und bricht mit den wichtigsten völkerrechtlichen Verpflichtungen, wie dem Grundsatz der Nichtzurückweisung, dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung und dem Grundsatz des Zugangs zu Asyl. Ausgenommen sind nur Flüchtlinge aus Syrien.
In Libyen hat ein anhaltender Bürgerkrieg weder die EU noch Mitgliedstaaten wie Italien daran gehindert, Geld für Grenzausrüstungen und -systeme, Ausbildung für die Küstenwache und die Finanzierung von Haftanstalten zu geben - selbst wenn die Nachrichten über Polizisten des Küstenschutzes, die Flüchtlingsboote entern oder Milizen, die Haftanstalten wie Gefangenenlager betreiben, nicht abreissen.
In Ägypten hat sich die Grenzzusammenarbeit mit der deutschen Regierung trotz der zunehmenden militärischen Konsolidierung der Macht im Land intensiviert. Deutschland finanziert Ausrüstung und regelmäßige Schulungen für die Grenzpolizei. Zwangsvertriebene im Land sind in einer Falle gefangen, können aufgrund der Sicherheitslage nicht nach Libyen weiter ziehen und werden von der ägyptischen Küstenwache beschossen, wenn sie versuchen, aufs Meer zu gelangen.
Im Sudan hat die EU-Grenzunterstützung nicht nur einer berüchtigten Diktatur aus der internationalen Isolation geholfen, sondern sie hat auch die Rapid Support Forces unterstützt, die aus Janjaweed-Milizen bestehen, welche am meisten für Menschenrechtsverletzungen in Darfur verantwortlich sind.
Die Situation in Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, zeigt die Kosten der Migrations-kontrolle für die lokale Wirtschaft. Durchbrüche von Terrorgruppen in der nördlichen Stadt Agadez haben die lokale Wirtschaft untergraben und die Migration in den Untergrund verschärft, wodurch die Situation für Migranten gefährlicher geworden ist und die Macht bewaffneter Schmuggler-banden zugenommen hat. In ähnlicher Weise drohen die EU-Maßnahmen zur Auslagerung der Grenzen in Mali die Konflikte in dem aus dem Bürgerkrieg hervorgegangenen Land erneut zu verschärfen.
Alle Fallstudien zeigen eine Politik der EU und ihren Nachbarstaaten, die unabhängig von ihren Kosten für das jeweilige Land oder für die gewaltsam Vertriebenen fast ausschließlich von der Migrationskontrolle besessen ist. Es ist ein begrenztes und letztlich selbstzerstörerisches Konzept der Sicherheit, weil es nicht die Ursachen anspricht, die die Menschen dazu veranlassen zu migrieren - Konflikte, Gewalt, wirtschaftliche Unterentwicklung und das Versagen von Staaten beim Versuch, diese zu bewältigen. Statt dessen verschärft das Konzept durch die Stärkung der Militär- und Sicherheitskräfte in der Region die Repression, schränkt die demokratische Rechenschaftspflicht ein und schürt Konflikte, die dazu führen, dass noch mehr Menschen aus ihren Regionen vertrieben werden. Es ist Zeit, den Kurs zu ändern. Statt Außengrenzen und Mauern zu externalisieren, sollten wir echte Solidarität und Achtung der Menschenrechte externalisieren.