Solidarität unter Beschuss Deutschlands Unterdrückung der Palästina-Bewegung
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Dieser Bericht dokumentiert, wie deutsche Behörden seit dem 7. Oktober 2023 Israel unbeirrt politische, diplomatische und materielle Rückendeckung bei seinem Völkermord in Gaza geboten haben, flankiert von weitreichenden repressiven Maßnahmen gegen die Palästinasolidaritätsbewegung im Inland. Dazu gehören nicht nur Demonstrationsverbote und Polizeigewalt, sondern auch Hetzkampagnen, die Ausladung aus kulturellen Events, Repressalien am Arbeitsplatz sowie die Instrumentalisierung des Migrations- und Asylrechts. In der Gesamtschau ergeben diese Maßnahmen einen repressiven Rahmen, mit dem in Deutschland beinahe jede Form der effektiven Solidarität mit Palästina kriminalisiert wird und umfassendere bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden. Die Medien, Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Teilen der politischen Linken spielen dabei eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung dieses Klimas.
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Die vollständige Version des Reports ist auf Englisch unter tni.org/solidarityundersiege verfügbar.
Zusammenfassung des Reports
Der vorliegende Bericht dokumentiert, wie deutsche Behörden nach dem 7. Oktober 2023 Israel unbeirrt politische, diplomatische und materielle Rückendeckung bei seinem Völkermord in Gaza geboten haben, flankiert von weitreichenden repressiven Maßnahmen gegen die Palästinasolidaritätsbewegung im Inland. Dazu gehören nicht nur Demonstrationsverbote und Polizeigewalt, sondern auch Hetzkampagnen, die Ausladung aus kulturellen Events, Repressalien am Arbeitsplatz sowie die Instrumentalisierung des Migrations- und Asylrechts. In der Gesamtschau ergeben diese Maßnahmen einen repressiven Rahmen, mit dem in Deutschland beinahe jede Form der effektiven Solidarität mit Palästina kriminalisiert wird und umfassendere bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden.
Dieser Bericht umfasst den Zeitraum der ersten 18 Monate des Genozids, vom 7. Oktober 2023 bis Ende April 2025. Er beruht auf Interviews mit Aktivist*innen und einer Analyse der rechtlichen und politischen Situation sowie Fallstudien zu vier Säulen der Repression, die den Bericht strukturieren:
- Deutschlands Mitverantwortung für die israelische Besatzung und den Völkermord in Gaza;
- der politisch-rechtliche Rahmen, der bewusst Antizionismus und Antisemitismus vermengt;
- der Einsatz von Polizeiarbeit, Überwachung, Gewalt, Zensur und wirtschaftlichem Druck gegen Aktivist*innen und kritische Stimmen; sowie
- die Rolle von Medien, Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Teilen der politischen Linken bei der Aufrechterhaltung dieses Klimas.
Der Bericht zeigt auf, dass Aimé Césaires „Bumerang“ seit Oktober 2023 mit ganzer Wucht aus den Kolonien in die Metropole zurückkehrt. Die deutsche Unterstützung für das israelische Apartheidsystem und die israelischen Kriegsverbrechen spiegelt sich dabei im Inland in Form repressiver Maßnahmen, Massenüberwachung, Polizeigewalt und Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit wider. Deutschland übernimmt diese Gewalt nicht einfach nur: Es verfeinert, institutionalisiert und exportiert sie. Das Land ist zu einem Testfeld für die Kriminalisierung der Palästinasolidarität geworden. Es lotet aus, wie weit es bei der Unterdrückung der Redefreiheit, dem Verbot von Protesten und dem Ausreizen der verfassungsmäßigen Ordnung gehen kann, bis diese fast nicht mehr als solche erkennbar ist.
Grundlegend für die Repression gegen die propalästinensische Bewegung ist die bewusste Vermengung von Antisemitismus und Antizionismus. Dabei wird die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust regelmäßig als Rechtfertigung eines anderen Völkermordes und der Repression gegen jene herangezogen, die sich gegen diesen Völkermord wehren. Kritiker*innen des Staates Israel, darunter viele jüdische Menschen, werden als Antisemit*innen gebrandmarkt, während Palästinenser*innen, die um ihre Toten trauern und Gerechtigkeit fordern, als Gefahr für die öffentliche Ordnung gelten.
Diese Repressalien werden nicht allein mit der Staatsgewalt durchgesetzt. Medien spielen auch eine entscheidende Rolle dabei, Zustimmung für diese Maßnahmen zu erzeugen, indem der Genozid in Gaza und die Gewalt gegen die Palästinenser*innen stetig heruntergespielt werden. Die Narrative der deutschen Politik und Polizei werden unkritisch übernommen, etwa wenn die Solidaritätsbewegung abgekanzelt oder sogar zu gewaltsamem Handeln gegen diese aufgerufen und gleichzeitig über die schwindenden zivilgesellschaftlichen Räume der Mantel des Schweigens geworfen wird. Liberale Akteure der Zivilgesellschaft haben ihre Mitglieder auf Linie gebracht, haben palästinensische Stimmen ausgeladen und angesichts der Repression geschwiegen. Und selbst Teile der deutschen Linken und der sozialen Bewegungen haben, aus Sorge vor einem Ansehensverlust oder einer Kürzung von Mitteln, davor zurückgeschreckt, sich dem wachsenden Autoritarismus entgegenzustellen. Schlimmer noch: Zuweilen haben sie ihn selbst befeuert.
Das repressive Vorgehen zielte allerdings nicht allein auf die pro-palästinensische Bewegung, sondern diente auch als Testfeld für weitere Schritte in Richtung Autoritarismus. Essenziell dafür ist der Verknüpfung mit dem Thema Migration. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Antisemitismus und Extremismus sowie vor dem Hintergrund sich verschärfender und zunehmend tödlicher migrationspolitischer Maßnahmen ist auch das Einwanderungsrecht zu einem Mittel der politischen Kontrolle geworden. Aufgrund von Lappalien wie Social-Media- Posts oder der Teilnahme an Protesten hat der Staat Visa verweigert, Menschen abgeschoben oder ihren Einbürgerungsprozess abgebrochen. Aufenthaltsstatus, Einbürgerung und Asylrecht sind nun abhängig von ideologischer Konformität. Während staatliche Akteure immer wieder auf den steigenden Antisemitismus verweisen, haben andere Formen von Rassismus, darunter insbesondere die Islamophobie, stark zugenommen, was die Sicherheit und sogar das Leben der Betroffenen gefährdet.
Diese Repression vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil eines gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Versicherheitlichung und Militarisierung weiter Teile der Politik in Deutschland sowie weltweit. Wir erleben nicht nur eine Mitverantwortung an einem Genozid, sondern den Versuch, die deutsche Gesellschaft zu remilitarisieren, abweichende Meinungen als Extremismus umzudeuten und Befreiungsbewegungen mit Nazismus gleichzusetzen. Maßnahmen, die jetzt bei der pro-palästinensischen Bewegung getestet werden, können aber sehr wohl später auch gegen andere oppositionelle Gruppen zum Einsatz kommen – von Umweltschützer*innen bis hin zu Antimilitarist*innen.
Viele Menschen sind in ihrem Alltagsleben konkret betroffen. Die Interviews mit Aktivist*innen in diesem Bericht belegen, dass viele Palästinenser*innen, Araber*innen, Muslim*innen und antizionistisch eingestellte jüdische Menschen ein Klima der Angst und Gewalt erleben – und dennoch weiter Widerstand leisten. Während die Medien weiter den staatlichen Diskurs übernehmen, wächst die Zahl der Menschen, die solche offiziellen Lügen durchschauen. Trotz aller Polizeigewalt setzen sich die Proteste fort und palästinensische Stimmen bleiben standhaft.
Einführung
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts hat gerade der zweite Monat des Orwellschen Gaza-„Friedensdeals“ begonnen, der unter Drohungen der USA nun auch vom Sicherheitsrat der Vereinigten Nationen abgesegnet wurde.1 Anstelle eines irgendwie gearteten Friedens müssen die Menschen in Gaza jedoch einen Zustand erdulden, der sich nur als hinausgezögerter Völkermord beschreiben lässt. Seit Inkrafttreten des Abkommens hat Israel es beinahe täglich mit Angriffen verletzt, bei denen bisher mehr als 312 Menschen starben und mehr als 760 verletzt wurden. Damit stieg die Zahl bestätigter Opfer in Gaza seit dem 7. Oktober 2023 auf mehr als 69.000.2 Die Zahl an LKWs, die Israel nach Gaza hereinlässt, stellt nur einen Bruchteil dessen dar, was nötig wäre, um die gezielt herbeigeführte Hungersnot abzuwenden. Willkürliche israelische Einschränkungen der Einfuhr 350 grundlegender Lebensmittel verschärfen die Situation zusätzlich.3 Unterdessen erreichten die gewaltsamen und von der israelischen Armee gedeckten Angriffe durch Siedler*innen im Westjordanland einen neuen Höchststand. Das israelische Parlament billigte zudem offiziell den kolonialistischen Plan zur Annektierung dieses Territoriums.4
Dessen ungeachtet erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz die Krise offiziell für beendet. In einem Interview vom 9. Oktober antwortete er auf die Frage nach dem „Friedensplan“: „Es gibt keinen Grund mehr für Palästinenser in Deutschland zu demonstrieren. Es ist dann Frieden in Gaza, und das ist eine gute Nachricht.“5 Seinen Worten zum Trotz gingen zehntausende Menschen am 11. Oktober in Berlin auf die Straße, um gegen die Mittäterschaft Deutschlands zu demonstrieren, die Verantwortlichen des Genozids zur Rechenschaft zu ziehen und um Apartheid und Kolonialismus ein Ende zu setzen.6 Die Polizei reagierte mit Gewalt. Demonstrierende erlitten Schläge gegen Kopf, Brust und Unterleib, Schmerz- und Würgegriffe sowie willkürliche Verhaftungen, darunter von mindestens drei Minderjährigen.7 Wie der vorliegende Bericht belegt, stellt das keineswegs den Ausnahmefall dar, sondern ist für Menschen, die gegen den Völkermord demonstrieren, zur neuen Normalität geworden.
Am 19. Oktober 2023 hatten israelische Angriffe bereits an die 3.500 Menschen in Gaza getötet8 und die einzige Krebsklinik im Gazastreifen war kurz davor, geschlossen zu werden. Zahn Tage zuvor hatte der israelische Verteidigungsminister öffentlich eine „vollständige Belagerung“ von Gaza verkündet und erklärt, „es [werde] keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff geben, alles [werde] geschlossen sein“. Außerdem sprach er von Palästinenser*innen als „menschlichen Tieren“.9 Nachdem er Israel seine volle Solidarität für etwas zugesichert hatte, das sich bereits als ausgewachsener Genozid zu entpuppen begann, erklärte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag, dass Deutschland eine „klare Kante“ gegen Antisemitismus und „Gewaltverherrlichung“ zeigen müsse.10 Diese „Kante“ umfasste bereits damals ein pauschales Verbot antiisraelischer Proteste in Berlin sowie ein gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen jede Form der Solidarität mit den Palästinenser*innen – und das sollte erst der Anfang sein. Die Bundesregierung beharrte in der Folge auf die von Altkanzlerin Angela Merkel so bezeichnete Staatsräson – die bedingungslose Unterstützung Israels. Seitdem wurde diese Doktrin in Deutschland als Waffe zur Unterdrückung kritischer Stimmen in Anschlag gebracht.
Die „Bumerang“-Analyse, mit der die US-amerikanisch-palästinensische Anwältin Noura Erakat die Situation der Vereinigten Staaten beschreibt, lässt sich in gleicher Weise auf Deutschland anwenden;11 seit Oktober 2023 können wir beobachten, wie Aimé Césaires „Bumerang“ mit ganzer Wucht aus den Kolonien in die Metropole zurückkehrt. Die deutsche Unterstützung für das israelische Apartheidsystem und die israelischen Kriegsverbrechen spiegelt sich dabei im Inland in Form repressiver Maßnahmen, Massenüberwachung, Polizeigewalt und Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit wider. Deutschland übernimmt diese Gewalt nicht einfach nur: Es verfeinert, institutionalisiert und exportiert sie. Das Land ist zu einem Testfeld für die Kriminalisierung der Palästinasolidarität geworden. Es lotet aus, wie weit es bei der Unterdrückung der Redefreiheit, dem Verbot von Protesten und dem Ausreizen der verfassungsmäßigen Ordnung gehen kann, bis diese fast nicht mehr als solche erkennbar ist. Was heute in Berlin passiert, dient morgen anderen Ländern als Blaupause.
Weltweit gesehen ist die Palästinafrage zum Fokuspunkt staatlicher Repression geworden. Nach Informationen der internationalen NRO Civicus entfielen allein im Jahr 2024 mehr als 10 Prozent aller weltweit dokumentierten Fälle von Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung auf dieses Thema.12 Deutschlands Vorgehen sticht hier gemessen an Umfang und Intensität heraus: Der Civic Space Report 2025 des European Civic Forum erwähnt dezidiert Deutschland als eines der repressivsten Länder beim Umgang mit pro-palästinensischen Protesten.13 Der Repressionsindex des European Legal Support Centre hat seit 2019 mehr als 700 Vorfälle in Deutschland registriert (die meisten davon nach dem 7. Oktober 2023), von denen tausende Menschen aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft betroffen waren.14
Grundlegend für die Repression gegen die pro-palästinensische Bewegung ist die bewusste Vermengung von Antisemitismus und Antizionismus. Dabei wird die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust regelmäßig als Rechtfertigung eines anderen Genozids und der Repression gegen jene herangezogen, die sich gegen diesen Genozid wehren. Kritiker*innen des Staates Israel, darunter viele jüdische Menschen, werden als Antisemit*innen gebrandmarkt, während Palästinenser*innen, die um ihre Toten trauern und Gerechtigkeit fordern, als Gefahr für die öffentliche Ordnung gelten. Beim Aufspüren vorgeblicher Antisemit*innen könnte zukünftig künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen.15 Doch hinter Deutschlands Unterstützung für Israel stecken weniger ethische als vielmehr materielle Gründe: Durch die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an den geostrategischen Interessen der USA konnten Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall in den letzten zehn Jahren ihren Profit um mehr als 2.000 Prozent steigern.16 Wie James Baldwin 1979 schrieb: „Der Staat Israel wurde nicht zur Rettung der Juden, sondern zur Rettung westlicher Interessen geschaffen.“17
In diesem Bericht wird detailliert erfasst, mit welchen Kosten diese Rettung in Deutschland einhergeht. Nicht nur Demonstrationsverbote, Polizeigewalt und Massenverhaftungen wurden erfasst, sondern auch Entlassungen, Suspendierungen an Universitäten, die Schließung von Bankkonten, Abschiebungen, Überwachungsmaßnahmen, Zensur sowie Drohungen zur Aufhebung des Aufenthaltsrechts. In der Gesamtschau ergeben diese Maßnahmen einen repressiven Rahmen, mit dem in Deutschland beinahe jede Form der effektiven Solidarität mit Palästina kriminalisiert wird und umfassendere bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden.
Diese Repressalien werden nicht allein mit der Staatsgewalt durchgesetzt. Medien spielen auch eine entscheidende Rolle dabei, Zustimmung für diese Maßnahmen zu erzeugen, indem der Genozid in Gaza und die Gewalt gegen die Palästinenser*innen stetig heruntergespielt werden. Die Narrative der deutschen Politik und Polizei werden unkritisch übernommen, etwa wenn die Solidaritätsbewegung abgekanzelt oder sogar zu gewaltsamem Handeln gegen diese aufgerufen und gleichzeitig über die schwindenden zivilgesellschaftlichen Räume der Mantel des Schweigens geworfen wird. Liberale Akteure der Zivilgesellschaft haben ihre Mitglieder auf Linie gebracht, haben palästinensische Stimmen ausgeladen und angesichts der Repression geschwiegen. Und selbst Teile der deutschen Linken und der sozialen Bewegungen haben, aus Sorge vor einem Ansehensverlust oder einer Kürzung von Mitteln, davor zurückgeschreckt, sich dem wachsenden Autoritarismus entgegenzustellen. Schlimmer noch: Zuweilen haben sie ihn selbst befeuert.
Das repressive Vorgehen zielte allerdings nicht allein auf die pro-palästinensische Bewegung, sondern diente auch als Testfeld für weitere Schritte in Richtung Autoritarismus. Essenziell dafür ist der Verknüpfung mit dem Thema Migration. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Antisemitismus und Extremismus sowie vor dem Hintergrund sich verschärfender und zunehmend tödlicher migrationspolitischer Maßnahmen ist auch das Einwanderungsrecht zu einem Mittel der politischen Kontrolle geworden. Aufgrund von Lappalien wie Social-Media- Posts oder der Teilnahme an Protesten hat der Staat Visa verweigert, Menschen abgeschoben oder ihren Einbürgerungsprozess abgebrochen. Aufenthaltsstatus, Einbürgerung und Asylrecht sind nun abhängig von ideologischer Konformität. Während staatliche Akteure immer wieder auf den steigenden Antisemitismus verweisen, haben andere Formen von Rassismus, darunter insbesondere die Islamophobie, stark zugenommen, was die Gesundheit und das Leben der Betroffenen gefährdet. Im Grundrechte-Report 2025, einem zivilgesellschaftlichem Alternativbericht zum jährlichen Verfassungsschutzbericht, heißt es: „Die Ausübung ziviler Freiheiten wird offensiv und mit bislang nie dagewesener Intensität behindert oder verboten.“ Des Weiteren betont der Bericht, dass Migrant*innen am stärksten von dieser Rechteeinschränkung betroffen sind.18
Diese Repression vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil eines übergeordneten starken Rechtsrucks und der Versicherheitlichung und Militarisierung weiter Teile der Politik in Deutschland und weltweit. Wir erleben nicht nur eine Mitverantwortung an einem Genozid, sondern den Versuch, die deutsche Gesellschaft zu remilitarisieren, abweichende Meinungen als Extremismus umzudeuten und Befreiungsbewegungen mit Nazismus gleichzusetzen. Der Filmemacher Dror Dayan weist auf Folgendes hin: „Während Deutschland niemals mit seiner Nazi-Vergangenheit gebrochen hat, vergleicht es all seine Feinde – ob es sich nun um palästinensische Freiheitskämpfer handelt oder um Russland – mit den eigenen Nazis. Während Deutschland die eigenen Neonazis in AfD und CDU stützt, ist es gleichzeitig darum bemüht, sich der Welt so zu präsentieren, als ob es Nazis bekämpfen würde. Es lügt einfach nur, wer diese Nazis sind.“19 Unter dem Vorwand der öffentlichen Sicherheit wurden die Befugnisse der Polizei ausgeweitet. Maßnahmen, die jetzt bei der pro-palästinensischen Bewegung getestet werden, könnten aber sehr wohl später auch gegen andere oppositionelle Gruppen zum Einsatz kommen – von Umweltschützer*innen bis hin zu Antimilitarist*innen. Wie es in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Jungen Welt heißt, läuft sich der Staat „warm, um für die angestrebte Kriegsfähigkeit gegen jede Antikriegsopposition vorgehen zu können“.20
Viele Menschen sind in ihrem Alltagsleben konkret betroffen. Viele Palästinenser*innen, Araber*innen, Muslim*innen und antizionistisch eingestellte jüdischen Menschen erleben ein Klima der Angst und Gewalt – und leisten dennoch weiter Widerstand. Während die Medien weiter den staatlichen Diskurs übernehmen, wächst die Zahl der Menschen, die solche offiziellen Lügen durchschauen. Laut einer Umfrage vom Mai 2025 halten 80 Prozent der Deutschen das israelische Vorgehen in Gaza für nicht gerechtfertigt, eine Zunahme von 11 Prozent gegenüber März 2024.21 Eine weitere Umfrage ergab, dass 70 Prozent es ablehnen, dass Deutschland Israel militärisch unterstützt.22 Trotz aller Polizeigewalt setzen sich die Proteste fort und palästinensische Stimmen bleiben standhaft. Es ist so, wie die Anwältin Nadija Samour uns in Anlehnung an Gandhi ins Gedächtnis ruft: „Zuerst ignorieren sie uns, dann lachen sie über uns, dann bekämpfen sie uns und dann gewinnen wir.“23
Fazit: Eines Tages wird Deutschland immer dagegen gewesen sein
Nicht all die Macht und das Geld, nicht all die Waffen und die Propaganda der Welt können die Wunde, die Palästina ist, länger verbergen.
– Arundhati Roy
Jeder Mensch, der das deutsche Schulsystem durchläuft und mit den Schrecken des Holocausts konfrontiert wird, stellt sich früher oder später eine Reihe von Fragen: Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Warum hat es niemand verhindert? Was hätte ich getan? Wenn wir die letzten beiden Jahren Revue passieren lassen, lautet die Antwort: Genau so.
Am 25. Oktober 2023, gerade einmal drei Wochen nach Beginn des Bombardements von Gaza, schrieb der ägyptisch-kanadische Journalist Omar El Akkad: „Eines Tages, wenn keine Gefahr mehr droht, wenn niemand persönliche Nachteile befürchten muss, wenn Dinge beim Namen genannt werden können, wenn es zu spät ist, um Leute zur Rechenschaft zu ziehen, werden alle immer schon dagegen gewesen sein.“ Sein Ausspruch ging viral. Wie der erste Teil dieses Berichts gezeigt hat, macht Deutschland sich derzeit mitschuldig am Völkermord in Gaza und hat es wieder einmal verpasst, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Es bleibt abzuwarten, wie lange diejenigen, die an der Macht sind, brauchen werden, um zu behaupten, dass sie in Wirklichkeit immer kritisch gegenüber Israel waren.
Zyniker*innen dürften sich die Frage stellen, wie zukünftig wohl der Opfer dieses Völkermords in Deutschland gedacht werden wird. Wird es Gedenktage geben, an denen Politiker*innen Blumen in Gaza niederlegen, verpflichtende Besuche in Genozid-Museen, Schulbücher, die Kindern – einmal mehr – beibringen, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf? Wie oft muss sich die Geschichte wiederholen, bevor wir von ihr lernen?
Wenn die letzten beiden Jahre überhaupt etwas bewirkt haben, dann war es, den „westlichen Werten“ die Maske herunterzureißen und offenzulegen, was für die Betroffenen schon immer klar war: für Migrant*innen, die ihrem Schicksal im Mittelmeer überlassen wurden; für diejenigen, deren Familien mit deutschen Waffen in von Deutschland unterstützten NATO-Kriegen getötet wurden; für die Opfer rechter Gewalt, bei denen der Staat jedoch wegschaute oder die Fälle sogar vertuschte. Diese verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft kannten die Wahrheit seit Langem, doch die Verlogenheit ist mittlerweile derart offensichtlich, dass man sie nur noch mit geschlossenen Augen zu ignorieren vermag.
Dieser Bericht zeigt auf, dass Deutschlands unbeirrte Unterstützung für den israelischen Genozid im Ausland mit umfassenden repressiven Maßnahmen gegen die Palästinasolidarität im Inland einhergeht. Über Jahrzehnte haben die Behörden einen politisch-rechtlichen Rahmen geschaffen, der bewusst den Antizionismus mit dem Antisemitismus vermengt – als Instrument zur Abwehr jeglicher Kritik an Israel. Der Staat antwortet auf eine solche Kritik mit Kriminalisierung, „Lawfare“, umfassenden Polizeimaßnahmen, Gewalt, Zensur, dem Ausschluss aus öffentlichen Plattformen sowie ökonomischem Druck gegen Aktivist*innen, und zwar mit Unterstützung eines Großteils der Medien und sogar Teilen der NRO-Szene und der Linken.
In der Folge hat sich Deutschland deutlich verändert. Die Verpflichtung, politische Vorgaben in kulturellen, wissenschaftlichen und kommunalen Einrichtungen einzuhalten, hat den verfügbaren Raum für zivilgesellschaftliches Handeln verkleinert. Während die Regierungsführung stärker von Fragen der Versicherheitlichung geprägt ist, greifen die sich ausweitenden polizeilichen Befugnisse und der zunehmende Militarismus immer stärker in das alltägliche Leben der Bevölkerung ein. Dazuzugehören ist nun stärker an bestimmte Vorbedingungen geknüpft, da der Zugang zu öffentlichen Plattformen, Finanzmitteln und sogar zu Aufenthaltstiteln und der Staatsbürgerschaft jetzt davon abhängt, staatlich festgelegten Narrativen zuzustimmen.
Der Genozid hat allerdings auch zum politischen Erwachen einer neuen Generation an Aktivist*innen in Deutschland geführt, die meisten von ihnen, aber nicht alle, migrantisch, muslimisch und/oder rassifiziert. Die Gefahr, als antisemitisch bezeichnet zu werden, hat nahezu jede Bewegung gespalten – von der Klimabewegung bis hin zu antirassistischen Initiativen. Aufgrund der umfassenden Kriminalisierung, der Kürzung an Finanzmitteln sowie den zunehmenden autoritären Strukturen hat die Linke – zumindest aktuell – an Einfluss verloren. Gleichzeitig bietet diese Entwicklung auch die Chance, mit einem staatlich-finanzierten, NRO- dominierten Modell zu brechen und eine radikalere und aufrichtigere Haltung einzunehmen: eine Haltung, die nicht nur nach kosmetischen Reformen, sondern nach einem Systemwechsel verlangt, um Kapitalismus, Kolonialismus und Genozide als das zu benennen, was sie sind, und sie ohne Umschweife zu bekämpfen.
Die vollständige Version des Reports ist auf Englisch unter tni.org/solidarityundersiege verfügbar.