Das Investitionsgerichtssystem (ICS) auf dem Prüfstand Der EU-Entwurf ermöglicht auch weiterhin Investorenklagen gegen Umwelt- und Gesundheitsgesetze

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Sobre das investitionsgerichtssystem (ics) auf dem prüfstand

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  • Natacha Cingotti
  • Pia Eberhardt
  • Nelly Grotefendt
  • Scott Sinclair
Kurzfassung

Im Herbst 2015 veröffentlichte die EU-Kommission unter der Federführung von Cecilia Malmström einen Entwurf für zukünftige EU-Handelsabkommen, in dem ausländische Investoren weitreichende Rechte eingeräumt werden. Die Veröffentlichung dieses Entwurfs findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich in der Öffentlichkeit massiver Widerstand gegen Investor-Staat-Klagerechte (ISDS nach der englischen Abkürzung), wie sie für das USA-EU-Handelsabkommen TTIP ( Transatlantic Trade and Investment Partnership) und das EU-Kanada-Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) vorgesehen sind, regt. Solche Investor-Staat-Klagerechte sind in zahlreichen bestehenden Handels- und Investitionsabkommen enthalten. In der letzten Zeit ist es zu einem rasanten Anstieg der umstrittenen Konzernklagen gekommen, mit denen Unternehmen gegen Staaten klagen und damit Gesetze und Maßnahmen im öffentlichen Interesse sowie zum Schutz von Umwelt und Gesundheit anfechten können.

Die EU-Kommission behauptete, der neue Entwurf für den Investorenschutz – der im Rahmen der TTIP-Verhandlungen als sogenanntes Investitionsgerichtssystem oder ICS (Investment Court System) präsentiert wurde – werde „die staatliche Regulierungsfreiheit bewahren und sicherstellen, dass Investitionsstreitfälle gänzlich im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien verhandelt werden.“ Die besonders strittigen und für die Ungerechtigkeiten des ISDS-Systems beispielhaften Investor-Staat- Klagen seien im Rahmen des „reformierten“ Systems nicht mehr möglich, so jedenfalls die Kommission.

Dieser Bericht stellt dieses Versprechen der Kommission auf die Probe. Dafür werden die fünf umstrittensten Investor-Staat-Klagen der letzten Jahre einer Analyse unterzogen.

Darunter sind:

  • Philip Morris vs. Uruguay: Philip Morris klagte gegen die Einführung von Warnhinweisen auf Zigarettenverpackungen und andere Maßnahmen zum Nichtraucherschutz
  • TransCanada vs. USA: Präsident Obama hatte im Zuge verstärkter Klimaschutzpolitik den Bau der Keystone XL Pipeline abgelehnt.
  • Lone Pine vs. Kanada: Die Provinz Quebec hatte vorsorglich ein Moratorium für die Fracking- Technologie erlassen
  • Vattenfall vs. Deutschland: Die Stadt Hamburg hatte den Betrieb eines Kohlekraftwerks an wasserschutzrechtliche Auflagen geknüpft
  • Bilcon vs. Kanada: Eine Umweltprüfung hatte den Bau eines Steinbruchs und eines Hafenterminals in einem ökologisch sensiblen Gebiet untersagt.

Das Ziel bestand darin zu evaluieren, ob solche Klagen im Rahmen des Investitionsgerichtssystems (ICS) nicht mehr möglich wären und ob damit die eklatanten Missstände im Bereich der Investor-Staat-Klagen substantiell verbessert worden sind. Oder ob die Kommission, wie zahlreiche RechtsexpertInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft bemängeln, lediglich versucht, den Investorenschutz vor der Kritik zu retten und unter neuem Namen neu aufzulegen.

Eine detaillierte Analyse der einzelnen Investor-Staat-Klagen zeigt, dass Konzerne im Rahmen von ICS in jedem einzelnen der oben genannten Fälle auch weiterhin klagen könnten – und dass ein solches Szenario auch wahrscheinlich ist. Die geplanten Regelungen hindern Konzerne keineswegs daran, gegen Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit zu klagen. Ebenso wenig werden die Schiedsgerichte daran gehindert, zugunsten der Konzerne zu entscheiden und Staaten für legitime demokratische Politik zu extrem hohen Schadenersatzsummen zu verurteilen.

Kurz gesagt: Das Investitionsgerichtssystem der Kommission fällt bei unserem Test durch – keine einzige der umstrittenen Investor-Staat-Klagen könnte verhindert werden.

Weitere wichtige Ergebnisse:

 

  • 1. Die Kommission öffnet den Konzernen mit vagen Definitionen wie „offensichtliche Willkür“ und „faire und gerechte Behandlung“ (bzw. FET nach der englischen Abkürzung) die Tür und ermöglicht die bekannten Investor-Staat-Klagen auch weiterhin.
  • 2. Die Kommission sieht in ihrem Entwurf eine Reihe von neuen Klauseln und Einschränkungen vor, darunter der Hinweis auf die staatliche Regulierungsfreiheit. Allerdings sind diese Klauseln sehr ungenau und lassen sich sehr breit auslegen. So tragen die Staaten die Nachweispflicht: Sie müssen darlegen, dass die ergriffenen Maßnahmen „notwendig“ und „nicht diskriminierend“ waren und dass damit ein „legitimes“ politisches Ziel verfolgt wurde. In den untersuchten Fällen aber sind die Konzerne eben dieser Argumentation gefolgt: Die Maßnahmen seien unrechtmäßig, willkürlich, unverhältnismäßig und diskriminierend (obwohl keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorlag) gewesen. Ein solches Vorgehen wäre im Rahmen des ICS durchaus möglich.
  • 3. Anstatt besonders strittige Investorenklagen zu verhindern, birgt das ICS sogar das Potenzial für mehr Schiedsverfahren. Denn im Gegensatz zu bestehenden Verträgen erwähnt der Entwurf für das ICS den Begriff der „legitimen Erwartungen“ der Investoren. In allen der fünf untersuchten Verfahren machten die Investoren einen Verstoß gegen ihre legitimen Erwartungen geltend. Ein Investor kann im Rahmen des ICS-Entwurfs seine „legitimen Erwartungen“ allerdings bereits aus einer „konkreten Zusicherung“ vonseiten des Staates ableiten. Worin diese „konkrete Zusicherung“ allerdings besteht, ist unklar. Theoretisch kann damit jegliche Maßnahme oder Handlung, beziehungsweise sogar ein mündlich ausgesprochener Hinweis vonseiten eines Regierungsmitglieds gemeint sein, der den Investor zu einer Investition oder zur Aufrechterhaltung einer Investition veranlasst hat.
  • 4. Weiterhin erhält der ICS-Entwurf auch den Anspruch der Investoren auf eine Entschädigung für (zukünftig) entgangene Gewinne. Dadurch werden Investorenklagen wie der TransCanada- Fall mit der astronomischen Entschädigungssumme von 15 Milliarden US-Dollar wegen einer nicht gebauten Pipeline wahrscheinlicher. Die einzige Einschränkung diesbezüglich im ICS-Entwurf sieht vor, dass Investoren keinen Schadenersatz für die Streichung von staatlichen Subventionen verlangen können. Allerdings gilt diese Einschränkung nicht für andere öffentliche Maßnahmen – dadurch wird deutlich, dass die Kommission nie das Ziel verfolgt hat, andere staatliche Maßnahmen vor horrenden Schadenersatzforderungen zu schützen.
  • 5. Im Rahmen des Investitionsgerichtssystems entscheiden noch immer private SchiedsrichterInnen über die Auslegung von weitreichenden Investorenrechten bzw. von unklar definierten Einschränkungen dieser Rechte. Es handelt sich dabei nicht um unabhängige RichterInnen. Die SchiedsrichterInnen werden auf einer Fallbasis bezahlt. Außerdem enthält der EU-Entwurf zur Vermeidung von Interessenskonflikten derart viele Schlupflöcher, dass genau diejenigen SchiedsrichterInnen über die Verfahren entscheiden, die derzeit das ganze System dominieren. RichterInnen in Europa haben sich bereits zu dem Entwurf geäußert und sind zu dem Schluss gekommen, dass er noch nicht einmal die Anforderungen der Europäischen Magna Carta für Richter bzw. anderer relevanter internationaler Konventionen über die Unabhängigkeit von RichterInnen erfüllt.

Die Tatsache, dass solche umstrittenen Investorenklagen auch innerhalb des „reformierten“ Systems weiterhin möglich sind, macht deutlich, dass die EU-Kommission die Kritik von Millionen EuropäierInnen nicht ernst genommen hat: Die Öffentlichkeit hat sich klar gegen ungerechte Privilegien für Konzerne ausgesprochen. Investor-Staat-Klagerechte oder ISDS – unter welchem Namen auch immer – sind undemokratische, gefährliche, ungerechte und einseitige Instrumente. Es ist höchste Zeit, dass die Europäische Kommission mit ihren Marketingtricks aufhört und wichtige Schritte in Richtung einer gerechten Handelspolitik unternimmt. Ein Schritt in diese Richtung wäre schlicht die Abschaffung von privaten Schiedsgerichten in Abkommen wie dem TTIP, CETA oder anderen EU-Handelsabkommen.

Veröffentlicht von Canadian Centre for Policy Alternatives, Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe, Forum Umwelt und Entwicklung und dem Transnational Institute

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